Wieder alleine. Du fehlst!

25.03.2023. Irgendwann nach 15:28 Uhr bin ich wieder alleine. Alles ist so still. Es ist alles anders und doch auch so gewohnt. Da stehen deine Schuhe im Flur. Dein Deo im Bad, wie auch die Handtücher noch immer an deinen Haken baumeln. So geht es weiter, wenn ich durch die Wohnung laufe. Der Teddy, den ich dir am Valentinstag schenkte riecht noch nach dir. Deine Kuscheldecke liegt auf dem Sofa und der von deiner Schwägerin zum Geburtstag geschenkte Leuchtturm wartet einsatzbereit auf dem davor stehenden Tisch. Nicht zu reden von den zahlreichen Zimmerpflanzen, die ich schon lange nicht mehr als „Grünzeug“ bezeichnet habe. Du hast deine Handschrift hinterlassen. Ich bin mal angeeckt als ich äußerte, du hättest einen teuren Geschmack. Dabei meinte ich es doch im positiven Sinne. - Nein, du hast es mir nicht übel genommen aber immer mal wieder daran erinnert. So wie ich dich an deine erste Mail erinnerte, in der nicht mal dein Name stand. Und doch war dies der Beginn. Mit dem Wissen des heutigen Tages, das habe ich dir heute noch sagen können, würde ich erneut „Ja“ sagen. Es war eine viel zu kurze Zeit, von der ich keinen Augenblick streichen wollte. Nicht alles war fröhlich, wurde aber gemeinsam angegangen. Wir sind ein gutes Team gewesen und der Wunsch, mit dir noch das Tanzen zu lernen, war wirklich ernst gemeint. Ja, man sollte mehr machen als reden, weil es keine unendliche Lebenszeit gibt. Nicht mal die Sterne leuchten ewig. Du warst mein Stern. Mein Antrieb. Mein Ehrgeiz und der Inbegriff der liebevollen Ehefrau. Das habe ich wahrscheinlich zu selten gesagt. Und nun bin ich dankbar. Für die beinahe 18 Jahre unseres gemeinsamen Lebens, dass mit einer fast dreijährigen Fernbeziehung an den Start ging, bis die „Ja“-Worte erklangen. Es war schön mit dir und wäre es auch geblieben. So bleibt am Ende noch die Dankbarkeit für den Abschied, der genauso ein Bund zwischen uns beide war. Auf meine Tränen hast du mit „Was ist denn?“ reagiert und mich fast zum Lachen gebracht. Du warst ein Mensch mit Charakter, der eine zweite Chance nur mit viel Überzeugung gewährte. Du konntest stur sein. Du wusstest aber auch damit umzugehen und nach dem Sturm die Hand zu reichen. Du fehlst! Ich behalte dich in meinem Herzen und schöpfe aus den Erinnerungen. 

Fast ein Jahr ohne Dich.

Vor einem Jahr hatten wir den Kampf gegen den Krebs schon einige Wochen lang aufgenommen, in erster Linie natürlich Du, mein Schatz. Ich muss wohl zugeben, dass ich nicht wirklich an ein Scheitern geglaubt habe und mich generell mit Deiner Krankheit weit weniger auseinander gesetzt habe, als Du es versucht hast.

Es war der krampfhafte Versuch jede Veränderung als notwendigen Schritt zu betrachten - die letztlich, in absehbarer Zeit, eine Wende hin zur Besserung mit sich bringen würden. Auf diesen Weg wollte ich Dich begleiten und alles mir mögliche dazu beitragen. Auch Dank meiner Vorgesetzten konnte ich beispielsweise den O²-Konzentrator noch an einem Freitag Nachmittag in Engelskirchen abholen. Das Gerät bedeutete Hoffnung, enttäuschte jedoch letztlich.

Du wolltest Normalität und kein Mitleid. Ich glaube, dass ich Dir das bieten konnte. Es war eine harte Zeit, die doch in Wahrheit bereits den Abschied einläutete. Du hast dich im Internet mit dem Mammakarzinom auseinandergesetzt, Bücher bestellt und an die Chancen der modernen Medizin geglaubt. Dir war bewusst: es würde ein wirklich langer und an die Substanz gehender Kampf werden, an dessen Ende auch Rückschläge wahrscheinlich bleiben würden. Wie Du den Erfolg eingeschätzt hast, wird Dein Geheimnis bleiben. Hast Du mehr geahnt, als Du sagtest? An welcher Stelle wolltest Du vielleicht eher mir die Hoffnung nicht nehmen?

An Deinem 52. Geburtstag gab es Cordon bleu und Rosen. In der Woche drauf wurden hier die Fenster vermessen, um sie im Sommer mit Plissees zu beschatten. 

Am 23. März, der Donnerstag nach Deinem Geburtstag, wussten wir früh noch nicht, dass wir die Wohnung zum letzten mal gemeinsam verlassen würden und nicht ich, sondern der Rettungswagen dich ins Krankenhaus fahren musste. Es war fürchterlich!

Und doch, wirkte der späte Mittag wieder etwas beruhigend, als die Ärzte in der Notaufnahme dich stabilisiert hatten und es auf Station 3 ging - ein Doppelzimmer.

Als am Folgetag die erste Chemo verabreicht wurde - ich schob deinen Rollstuhl in die Abteilung, fühlte sich dies wieder nach etwas mehr Hoffnung an. Wie falsch dieser Eindruck doch war! Eine Schwester öffnete mir da etwas die Augen, als sie nochmals die verpasste Zeit zur Sprache brachte.

Nach der Chemo war nichts mehr wie zuvor. Es dauerte gefühlt eine Ewigkeit, bis du aus dem OP, wo der Zugangsport für die nächsten Chemo-Sitzungen gelegt wurde, in dein letztes Zimmer verlegt wurdest.Die Stationsärztin machte klar, dass du die nächste Nacht nicht überleben könntest! Das Angebot, bei dir zu bleiben, nahm ich augenblicklich an.

Ein Gespräch war dann wohl nicht für meine Ohren gedacht, in dem von deiner Verlegung in ein anderes Zimmer die Rede war und du schon als Sterbende bezeichnet wurdest. Das gab mir einen Stich, denn ich wollte das nicht wahrhaben!

Die Nacht war unruhig. Du wolltest, wie schon zu Hause, immer zu das Fenster geöffnet haben. Die Metastasen in der Lunge quälten dich ganz besonders. Die Nachtschwester kam immer mal wieder, gab etwas gegen das Fieber und wechselte in den frühen Morgenstunden noch dein durchschwitztes Nachthemd.

Ich ließ dir dann eine Nachricht auf der Magnetwand in Blickrichtung zurück und verließ das Krankenhaus - ich glaube, es war 5 Uhr früh - für wenige Stunden, um kurz zu Hause zu duschen und etwas zu essen. Es war der 25. März 2023.

Als die nächste Schicht mich anrief, was ich sowieso fast schon auf dem Weg, aber der Hoffnungsschimmer schwand.
Ich weinte an deinem Bett und redete auf dich ein, bis du doch wieder zu dir kamst und diese berühmte Frage stelltest: "Was ist denn?"

Die letzten Stunden verbrachten wir gemeinsam. Die Medikation wurde allmählich erhöht, so dass du weder Schmerz noch Angst verspüren solltest. Wir haben sogar dein Mittagessen, Erbsensuppe mit Wiener, zusammen gegessen. Du hast von allem noch ein wenig gekostet.

Irgendwann bist du eingeschlafen und ich wachte an deinem Bett, lauschte auf deinen Atem und nahm schließlich Abschied von dir. - Wie lange währt die Ewigkeit? Für uns war sie eindeutig viel zu kurz.

Ruhe in Frieden, meine geliebte Livia!